Donnerstag, 5. Mai 2011

Fiorello La Guardia - oder was man von Roth lernen kann


Ich eröffne den Blog nach Ostern (Das war das Vorhaben! Tatsächlich ist bin Laden zwischenzeitlich getötet worden, wodurch ich mich genötigt sah mich anderen Fragen zu zu wenden.) mit einem kurzen Filmchen, der Fiorello La Guardia, den bedeutenden Bürgermeister der Stadt New York zeigt, wie er, an die Kinder der Stadt gewandt, im Radio einen Cartoon aus der Zeitung vorliest.
Das seine Mutter Triestinerin war verbindet, ist aber nicht der Grund gewesen dieses Zeitdokument zu heben. Wenn man Namen auf Straßenschildern liest oder Flughäfen so benannt werden, dass man sich wundern mag, an wen oder was sie erinnern sollen, dann ist der Name schnell vergessen, und fällt vom Rande der Wahrnehmung bald hinab: verdrängt von neuen Erscheinungen am rasch wechselnden Horizont des Augenscheins. Wenn man aber in einem guten Buch auf solche Namen stößt, dann brennen sie sich ein und wecken ein weiterführendes Interesse. So geschehen während meiner Osterlektüre von Philip Roths "Verschwörung gegen Amerika".
"La Guardia steht neben dem Sarg und spricht zu den Würdenträgern mit der gleichen hohen, nervösen Stimme, mit der er bekanntlich während eines Streiks der New Yorker Zeitungen allwöchentlich über den städtischen Rundfunksender den Kindern der Stadt die Sonntagscomics nacherzählte; mit der Geduld eines Onkels, wie man sich keinen besseren wünschen konnte, berichtet er über die Abenteuer von Dick Tracy und Little Orphan Annie und all die anderen Comic-Helden Bild für Bild und Sprechblase für Sprechblase."


Das Buch, welches eine nur kleine aber bedeutende Realitätsverschiebung vornimmt und das Fliegerass Charles Lindbergh zum amerikanischen Faschisten und 33. Präsidenten der Vereinigten Staaten macht, der Roosevelt  bei der Wahl 1940 ablöst und dann, nach einer verkürzten Amtszeit von diesem 1942 wieder abgelöst wird - dieses Buch hat mich in seinen Bann gezogen, nicht nur weil es das Phänomen von Bedrohung und Angst von Minderheiten in einer Gesellschaft, die sich zu einer feindlichen entwickelt, sehr plausibel darstellt. Es ist wie jedes Buch von Roth eines über Newark und dieses Mal eines, welches seine Kindheit beschreiben könnte, denn überall zwischen der Fiktion lauert das Leben wie es ist und also auch wie es hätte sein können, im Newark der 1940er Jahre.

Es entspricht in gewisser Weise dem Roman "Nemesis", den ich kurz zuvor gelesen hatte, bevor ich ihn Pflichtschuldig meinem Vater schenkte - immerhin war es sein Ostergeschenk, das ich da schnell durchgelesen hatte, weil ich nicht warten konnte es mir selbst zu erstehen und ich - bei aller Liebe für meinen Buchhändler - auch an das eigene Portmonee denken muss. Der Fluss der Erzählung von Nemesis verschmilzt mit dem breiten Erfahrungsstrom Newarks, aus dem Roth seine Charaktere und Geschichten schöpft. Und hier wie Im Verschwörungsroman arbeitet er an einem großen Thema, welches sich durch den Duktus des großen Erzählers als Erfahrung im Leser einbrennt. Wenn der Verschwörungsroman im wesentlichen Angst und Bedrohung behandelt, nimmt sich Nemesis die Moral vor an der Bucky, der Held der Geschichte, schließlich scheitert.

Das eine große Thema ist  Konzept und wird nicht aus den Augen verloren, während sich beim Lesen allerdings ein unglaublich breites Panorama begleitender Charaktere, Erzählungen und Aspekte des Lebens und der Welt eröffnen, die den Genuss der Lektüre noch steigern.

Bei Nemesis ist Roth zudem eine erzählerischer Kniff gelungen, der nicht wie die Realitätsverschiebung, sondern auf ganz andere überraschende Art daher kommt und der es auf wundervolle Weise ermöglicht die dem Roman zugrunde liegende konzeptuelle Fragestellung differenziert zu behandeln. Ein Roman wie ein Zwiegespräch.

Noch etwas ist mir im Rückblick auf meine Roth-Lektüren aufgefallen: Ich habe Roth immer unter Männerliteratur verbucht. Ich habe ihm damit sicherlich unrecht getan. Die letzten Leseerlebnisse, aber auch die Altherrenromane "Sabbath Theater",  "Der menschliche Makel" und "Jedermann"  stellen dem hadernden und meist auch scheiternden männlichen Charakteren eine starke, zärtlich gezeichnete Frauenfigur zur Seite.


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