Dienstag, 19. April 2011

Ich bekenne - ...

So richtig vollwertiges Mitglied in den "sozialen Netzwerken" ist man ja nur mit entsprechendem Bekenntnis. Und das soll schon am Profilbild erkennbar sein. Ich bekenne, also bin ich. [GK]
Gregor Keuschnig macht sich notwendige Gedanken über die Schnelllebigkeit des öffentlichen Bekenntnisses einerseits, der neuen Unfähigkeit zur diskursiven Auseinandersetzung andererseits.
Nie war es so einfach im wohligen Mief der gleichen Meinung unter sich zu bleiben – und sich dabei gut zu fühlen. Der Preis auf diesem Subprime-Markt der politischen Gesinnungsprostitution ist klein. Das Versprechen auf Anerkennung ist groß; das Risiko gering. Wenn man sich jetzt nicht engagiert, wann dann?  [GK]
Keuschnig sieht durch das digitale Bekenntis die Zwischentöne in Gefahr. Wo man Gruppen für oder gegen ein Sache per Mausklick zusammengeführt werden, da verblassen die Zwischentöne und damit die Meinungsbildung.Daraus schließt Keuschnig unter anderem:
Politisches und soziales Handeln bemisst sich immer mehr an Bekenntnissen. Das wirkt ein bisschen anarchistisch. Aber das täuscht. Die Gefahr eines totalitären Politikverständnisses ist viel größer. Etwa im Rekurs auf die Mehrheit oder auch nur einer Mehrheit, die sich als solche artikuliert. [GK]
lyam kommentiert dazu:
...warum sollte man aus ihnen nicht auch für sich selbst einen Freiraum ableiten, sich nach Belieben mit einer Meinung in der eigenen (virtuellen) Teilöffentlichkeit zu inszenieren, auch wenn man sie argumentativ gar nicht herleiten kann?
Vielleicht sind wir ja auch zu pessimistisch. Vielleicht ist das ja doch anders. Es stimmt natürlich, die Banner werden schneller gewechselt als die Wäsche. Gerade dieser Tage. Und der "gefällt mir"- Button ist schnell gedrückt. Das liest sich tatsächlich ein wenig nach Beliebigkeit und Oberfläche. Könnte es aber nicht auch anders sein? Könnte es nicht so sein, dass Bekenntnisse und Meinungsbildung trainiert werden? Vielleicht entsteht ja so, durch die einfache Übung des Fingerkrümmens "Klick" eine Erziehung zum Bekenntnis und also auch zur Verantwortung für die Zeiten, wenn es darauf ankommt.

Ich spreche jetzt mal im kultur-pessimistischen Duktus von mir selbst: Ich bin derart gesättigt und zufrieden, dass ich gefahrlos meine Meinung sagen und mich zu allem und jedem, oder eben dagegen, bekennen darf. Das liegt an unserem System, das gut funktioniert - zumindest für mich.

Die Welt ist weit weg. Sie nähert sich via Tagesschau, Zeitung, das Netz, AlJazeera, Begleitschreiben, Facebook. Während der ägyptisch/tunesischen Freiheitskämpfe habe ich beispielsweise vor den Medien mitgefiebert. Ich habe Zeit verbrannt um zu verstehen, was da vor sich geht und - so habe ich es später fabuliert - um zu bezeugen und erinnern, was ich gesehen und gelesen habe. Wozu, dachte ich, dient die Äußerung via Twitter und Facebook, Blogs, etc. aus den Regionen wo es brennt, wenn es auf der anderen Seite keine Empfänger gibt. (Ich gebe zu: Selbstüberhöhung - denn was nützt am Ende das Zuschauen wirklich) Genau betrachtet aber empfand ich Machtlosigkeit.  Das gilt für alle anderen Krisenherde dieser Welt. Ich gehe heute mit etwas weniger Brennen an die Nachrichten aus Nordafrika heran. Ich lese etwas langsamer, auch weil man z.B. Libyen nicht so gut erfassen kann (mein Eindruck: jedenfalls verlangt die Dynamik und auch die Beteiligung eine fundiertere Auseinandersetzung). Auch Fukoshima ist mittlerweile eine strahlende Tatsache und damit weitaus komplexer geworden als ein schlichter Supergau (allerdings befinde ich mich in der glücklichen Situation keine Ethikkommission berufen zu müssen, um mir die Notwendigkeit einer energiepolitischen Wende zu erklären. - ist es eigentlich verfassungsmäßig abgesichert, dass eine Regierung sich Nachhilfe geben lässt auf kosten der Steuerzahler [ha, das wollte ich schon immer mal sagen: auf Kosten der Steuerzahler! - mit erhobenen Zeigefinger!]  ).
 
Aber welche Möglichkeiten bieten sich mir, dem ewigen Zuschauer? Soll ich aus der Loge herabsteigen und die Welt retten? Soll ich mich in Masrata neben die Rebellen stellen, die Schnellfeuerwaffe im Anschlag? Auf nach Fukoshima, um die Japaner vor dem Schlimmsten zu bewahren? Nach China und Ai WeiWei's Freilassung fordern? Das alles ist [erscheint mir] wohl kaum möglich. Also signalisiere ich hier und da meine Solidarität, mein Bekenntnis zu einer Sache die ich unterstütze. Zu dem seelischen Ablass gesellt sich bestenfalls dann noch ein Betrag, der Hilfe spenden soll. Mir bleibt am Ende dennoch der fade Beigeschmack, dass dies nicht reicht. Aber neben dem Schicksal der Welt gilt es ja auch den Alltag zu bewältigen.

Was mir aber hilfreich und wertvoll erscheint, das ist das Ausbreiten des Diskurses. Dazu wiederum eignet sich das Netz und wir nehmen daran teil. Via Facebook über Blogs werden Nachrichten und Meinungen und Meinungsbildung betrieben. Das Bekenntnis mag ein Sprungbrett für die Vertiefung sein. Und erlaubt womöglich auch Menschen den Zugang zu Informationen und Diskursen, die sonst gar nicht den Weg dorthin gefunden hätten?

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